Schreibfehler oder Änderung der Vergabeunterlagen?

Offenkundige Eintragungsfehler stellen keine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen dar.

(VK Thüringen, Beschluss vom 10.05.2023, 4002-812-2023-E-003-SM)

Bei einem Vergabeverfahren mussten die Bieter an verschiedenen Stellen der Ausschreibungsunterlagen Angaben in Bezug auf Preise und Teilkosten machen. Der im Leistungsverzeichnis anzubietende Einheitspreis musste in einem besonderen Formblatt in Lohn und Stoffe aufgeschlüsselt werden. In dem Formblatt Stoffpreisgleitklausel waren für bestimmte Positionen die im Einheitspreis enthaltenden Kosten für bestimmte Stoffe anzugeben. Ein Bieter trug alle Preise und Teilkosten in die Formblätter ein, änderte jedoch die Preisangabe in einem der Formblätter in „Euro/m”; es hätte stattdessen heißen müssen “Euro/m²”. Der Auftraggeber nahm dies zum Anlass, das Angebot des Bieters wegen unzulässiger Änderungen an den Vergabeunterlagen auszuschließen. Der Bieter stellte Nachprüfungsantrag und berief sich darauf, vorliegend würde es sich um einen offenkundigen Schreibfehler handeln.

Die Entscheidung der Vergabekammer

Der Nachprüfungsantrag hat Erfolg. Nach Auffassung der angerufenen Vergabekammer liegt hier keine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vor. Denn es sei keine andere Leistung angeboten worden als ausgeschrieben. Bei Fehlern der vorliegenden Art müsse der öffentliche Auftraggeber das Angebot zunächst auslegen. Dabei sind neben dem Wortlaut der Erklärung auch andere Gesichtspunkte wie die Gesamtumstände zu berücksichtigen. Vorliegend habe der Bieter in allen anderen Formularen den Preis und die Einheit korrekt eingetragen. Nur bei einem der Formblätter (das im Übrigen nicht schreibgeschützt war) ist ihm der genannte Fehler unterlaufen. Der öffentliche Auftraggeber hätte erkennen müssen, dass es sich hier um einen unbeachtlichen Schreibfehler handelt.

Praxishinweis

Es hat sich sowohl bei Vergabestellen als auch bei Bietern mittlerweile herumgesprochen, dass Angebote nicht wegen offenkundiger Rechen- oder Schreibfehler ausgeschlossen werden sollen. Denn das würde dazu führen, dass im Übrigen einwandfreie und insbesondere wirtschaftliche Angebote nicht zum Zuge kommen können. Vergabestellen sind daher nach ständiger Rechtsprechung angehalten, derartige Angebote zunächst auszulegen, ob es sich hier um eine bewusste Änderung der ausgeschriebenen Leistungen handelt oder ob dem Bieter lediglich ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen ist. Lässt sich Letzteres nicht durch die Auslegung klären, ist dem Bieter darüber hinaus noch die Möglichkeit zur Erläuterung zu geben.

Dr. Ulrich Dieckert
Rechtsanwalt