Auch bei kalkulatorischer Preisfortschreibung ist Schätzung der Nachtragsvergütung möglich

1. Die Bezugnahme auf ein Sicherungskonzept mit konkreten Vorgaben in einer Leitungsposition ist vorranging vor der allgemeinen Vorgabe, alle erforderlichen Sicherungsleistungen seien durch den AN zu planen, kalkulieren und in die Leistungspositionen einzurechnen.
2. Auch wenn die Parteien eines VOB/B-Vertrags eine sog. Vorkalkulatorische Preisfortschreibung bei geänderten Leistungen vereinbart haben, kann die Höhe des Mehrvergütungsanspruchs des Auftragnehmers auf der Grundlage tatsächlich erforderlicher Kosten vom Gericht geschätzt werden, wenn sich die Parteien nicht auf einen neuen Preis für die geänderte Leistung einigen können und der neue Preis nicht aus der Urkalkulation hergeleitet werden kann.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.03.2025 – 5 U 148/23 (Leitsätze vom Verfasser)

Sachverhalt

Die DB Netz, heute DB InfraGo beauftragte nach europaweiter Ausschreibung ein Bahntechnikunternehmen mit der Gleisauswechselung einschließlich Planumsverbesserung im Bereich zweier Bahnhöfe der Erneuerung einer Weiche.
Die Abrechnung der Klägerin stellt sich nach Fertigstellung der Arbeiten wie folgt dar:

  • Vertragsleistungen: 1.870.951,15 Euro
  • Nachtrag 1: 2.586.706,28 Euro
  • Nachtrag 2: 765.467,61 Euro
  • Schlussrechnung: 5.223.125,04 Euro
  • Abschlagszahlungen: 1.870.736,65 Euro
  • Klageforderung: 3.352.388,39 Euro.

Das LG Duisburg hatte die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 226.429,83 Euro nebst Zinsen zu zahlen und in Höhe von rund 3,1 Mio. Euro die Klage abgewiesen. In Höhe von rund 500.000 Euro akzeptierte die Klägerin die Abweisung, und verfolgt in Höhe von rund 2,6 Mio. Euro die abgewiesenen Positionen weiter. Dies betraf im Wesentlichen den NT1, mit dem Mehrkosten für den Schienentransport von Material geltend gemacht wurden, und Teile des NT2.

Entscheidung des Gerichts

Erfolg hat die Klägerin nur mit einer einzigen Teilforderung wegen einer Änderung der Sicherungsart.
Die Sicherung der Baustelle gegen Gefahren aus dem Bahnbetrieb war im LV in gesonderten Leistungspositionen 10.70 und 15.70 beschrieben. Unstreitig war hierfür eine feste Sicherung vorgesehen. Es ist im Verlauf des Prozesses unstreitig geworden, dass bei den zwei Losen eine feste Sicherung nicht durchgehend möglich bzw. nicht zulässig war.

Die DB Netz berief sich darauf, dass nach den damaligen ZVB Ziffer 1.1.8 (aktuell ist Zif.1 frei) Sicherungsmaßnahmen Nebenleistungen wären und nicht gesondert zu vergüten seien. Außerdem seien nach der Baubeschreibung Teil C. 9.1 „alle erforderlichen Sicherungsleistungen durch den AN zu planen, kalkulieren und in die Leistungspositionen einzurechnen“.

Gleichzeitig aber findet sich in der Baubeschreibung der Hinweis, die Sicherungsplanung erfolge auf der “Grundlage für die Sicherungsplanung gemäß Anlage 3.8”. Das Gericht entscheidet, dass wenn der Auftraggeber die Grundlage für die Sicherungsplanung vorgibt, bestimmt er damit auch das von der Vergütung gedeckte Bausoll. Daran ändern die allgemeinen Vorgaben in den ZVB nichts (wobei sich diese Vorgaben offensichtlich auf den Fall beziehen, dass Sicherungsmaßnahmen nicht in gesonderten Positionen mit einem bestimmten Leistungsinhalt ausgeschrieben sind).

Ein zweites Problem was in diesem Urteil behandelt wird ist die Frage, wie mit der Situation umgegangen wird, dass die Kalkulation des Auftragnehmers für die Preisfortschreibung bei einer geänderten Leistung nichts hergibt. Die Bahn vertritt in solchen Fällen den Standpunkt, dass wenn der Unternehmer den neuen Preis für die geänderte Teilleistung nicht kalkulatorisch schlüssig herleiten kann, er eben kein Geld bekommt. Das sieht das Gericht anders.

Der Unternehmer hatte 64.819,63 Euro (netto) dafür abgerechnet, nämlich die ihr durch den Einsatz des Nachunternehmers entstandenen Mehrkosten in Höhe von 52.095,34 Euro (netto) plus des vertraglich vereinbarten Zuschlages von 24,425% auf die NU-Leistung. Die Bahn vertrat den Standpunkt, der Unternehmer könne nicht einfach beliebige Nachunternehmernkosten plus Zuschlag weiterberechnen, sondern er müsse auch die Nachunternehmern Kosten kalkulatorisch begründen.

Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die Herleitung eines neuen Preises mit der vorliegenden Urkalkulation nicht möglich sei. Dies überzeugt. Denn die Urkalkulation gibt zu den Positionen 10.70 und 15.70 für die Ermittlung des neuen Preises letztlich wenig her. Eine Aufteilung in Personalkosten und Vorhaltekosten bspw. erfolgt nicht. Zudem waren die bei der Ausschreibung vorgesehenen Sicherungsarbeiten anders gelagert. Hier war vorrangig Material einzubringen, wohingegen bei dem AWS-System ein mehrmaliger Auf/Abbau und ein Betrieb mit Personaleinsatz in Nachtschicht zu erfolgen hatte. Zudem hat die Klägerin für die Sicherung der einzelnen Lose jeweils denselben Betrag angesetzt, unabhängig von der Länge der zu sichernden Bereiche. Mithin wurde offenbar die gesamte Sicherungsvergütung gleichmäßig auf die Bauabschnitte verteilt. Die Urkalkulation hat auch daher wenig Aussagekraft für die Entwicklung neuer Preise.

Das Gericht teilt nicht die Auffassung der Bahn, dass wenn keine kalkulatorische Herleitung der Kosten erfolgt, nichts zu bezahlen wäre. Vielmehr sei in solchen Fällen unter Heranziehung von § 287 ZPO der neue Preis auf Basis der angefallenen Mehrkosten im Wege der Schätzung ermitteln.

Wörtlich schreibt das Gericht dazu:

Die Urkalkulation ist kein Selbstzweck, sondern soll im Interesse des Auftraggebers gewährleisten soll, dass eine Nachtragsforderung auf das Preisniveau des Ausgangsvertrages begrenzt bleibt (vgl. Jansen/Seibel/Funke, 6. Aufl. 2025, VOB/B § 1 Rn. 134, 135, beck-online). (…) Überdies hat der BGH verschiedentlich erklärt, eine Nachkalkulation sei nicht Schlüssigkeitsvoraussetzung (vgl. BGH ZfBR 2004, 687, beck-online). Auch in Fällen nicht prüfbarer Schlussrechnung soll die Werklohnklage nicht von vornherein unschlüssig sein. Bei ausreichender Grundlage könne der Werklohn vielmehr gemäß § 287 ZPO geschätzt werden (vgl. BGH NZBau 2006, 179, beck-online). Dem schließt sich der Senat für die hiesige Konstellation an. Eine ausreichende Schätzgrundlage besteht.

Hinweis für die Praxis

Das Gericht bestätigt den Grundsatz der Vertragsauslegung, dass speziellere Regelungen, hier die Beschreibung der Sicherungsmaßnahmen in 2 Positionen und in einem Sicherungskonzept allgemeinen Vorgaben vorgehen. Durch die spezielleren Regelungen wird das Bausoll was für die vereinbarte Vergütung geschuldet ist konkretisiert.

Das Gericht stellt außerdem klar, dass auch dann wenn vertraglich eine kalkulatorische Preisfortschreibung vereinbart ist, wie das bei den Verträgen der Deutschen Bahn der Fall ist, trotzdem eine Schätzung der zusätzlichen Vergütung auf der Basis tatsächlich erforderlicher Kosten erfolgen kann, wenn der geänderte Preis kalkulatorisch nicht ermittelt werden kann. Da dies bei der Kalkulation mit Nachunternehmerkosten plus Zuschläge häufig der Fall ist, hat das Urteil diesbezüglich eine große Bedeutung.

Das Urteil zeigt aber auch, dass sich der Auftragnehmer vorliegend “verzockt” hat. Man kann aus dem Sachverhalt entnehmen, dass die Bahn vor Beginn des Rechtsstreites durchaus bereit gewesen wäre, auf den Nachtrag1 etwas zu bezahlen. Man konnte sich aber über die Höhe nicht einigen. Am Ende kam das Gericht nach Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen zu dem Ergebnis, dass keine Änderung des Transportkonzeptes vorgelegen hat, und der Auftragnehmer bekam gar nichts.

Hendrik Bach
Rechtsanwalt