EuGH: Anwendbarkeit der HOAI-Mindestsätze zwischen Privaten liegt im Ermessen des Gerichts

(EuGH, Urteil vom 18.01.2022 – C-261/20)

Die HOAI enthielt bis zu ihrer Fassung 2013 einen verbindlichen Preisrahmen aus Mindest- und Höchstsätzen, der ein gesetzliches Verbot darstellte. Außerhalb dieses Rahmens liegende Vergütungsvereinbarungen waren nichtig und wurden durch den objektiv zutreffenden Mindestsatz (bei Unterschreitung) oder Höchstsatz (bei Überschreitungen) der HOAI ersetzt.

Im Jahr 2019 stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einer Grundsatzentscheidung fest, dass die Mindestsätze der HOAI 2013 gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie verstoßen (EuGH NJW 2019, 2529). Der deutsche Gesetzgeber reagierte und schaffte die Preisvorgaben mit der neuen HOAI 2021 ab. Unklar blieb jedoch, ob nationale Gerichte die Mindestsätze der HOAI 2013 bis zur Änderung durch die HOAI 2021 trotz des Urteils des EuGHs anwenden müssen. Der Bundesgerichtshof (BGH) legte in 2021 einen solchen Fall dem EuGH zur Entscheidung vor.

Mit Urteil vom 18.01.2022 – C-261/20 hat der europäische Gerichtshof – überraschenderweise gegen die im Schlussplädoyer vertretene Auffassung des Generalanwalts des EuGH – nunmehr entschieden, dass ein nationales Gericht nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet ist, eine Bestimmung des nationalen Rechts, welche mit einer Bestimmung des Unionsrechts im Widerspruch steht, nicht anzuwenden, wenn diese Bestimmung keine unmittelbare Wirkung entfaltet.

Bei dem Rechtsstreit zwischen Privaten könne sich keine Partei auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen, da der Adressat der Richtlinie immer nur der Staat sei.

Einer Anwendung der HOAI-Mindestsätze auf Verträge, die bis zum 31.12.2020 abgeschlossen wurden, stehe auch Art. 49 AIUV nicht entgegen, soweit keine der Parteien außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ansässig ist oder eine der Leistungen außerhalb dieses Gebiets erbracht wurde. Der Sachverhalt des entschiedenen Falls weise daher nicht über die Grenzen des Mitgliedstaats hinaus.

Praxishinweis:

Der BGH hat die richtlinienkonforme Auslegung des § 7 Abs. 1 HOAI 1013 bereits abgelehnt (BGH, Beschluss vom 14.05.2020 – VII ZR 174/19), sodass davon auszugehen ist, dass der BGH dem Ingenieur in dem noch anhängigen Fall den Mindestsatz zusprechen wird. Die Entscheidung ist auch für den öffentlichen Auftraggeber relevant, da dieser dem Architekten bzw. Planer fiskalisch, also auf Augenhöhe, und nicht hoheitlich übergeordnet gegenübertritt.

Der EuGH weist weiter darauf hin, dass betroffene Auftraggeber, die von Architekten in Anspruch genommen werden, gegebenenfalls Schadensersatzansprüche aufgrund der Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht gegen den Staat (also hier gegen die Bundesrepublik Deutschland) haben könnten.

Martin Krah
Rechtsanwalt