Wann sind DIN-Normen keine allgemein anerkannten Regeln der Technik?

Anerkannte Regeln der Technik können in DIN-Normen niedergelegt sein, wobei aber DIN-Normen insbesondere nicht als Rechtnormen zu qualifizieren sind, sondern lediglich als private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter.

Die DIN 18015-2 (Elektrische Anlagen in Wohngebäuden – Teil 2: Art und Umfang der Mindestausstattung) ist ihrem Regelungsgehalt nach nicht geeignet, die Vermutungswirkung, allgemein anerkannte Regel der Technik zu sein, für sich in Anspruch zu nehmen.

(OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2023 – 5 U 227/21)

09.02.2023 — Ein Generalunternehmer beauftragt ein TGA-Planungsbüro mit den Planungsleistungen der LP 1 – 7. Dabei handelt es sich um einen Neubau von vier Mehrfamilienhäusern mit 141 Mietwohnungen und Kindertagesstätte. 40 % der Wohnungen stellen öffentlich geförderten Wohnungsbau dar, auch die übrigen Wohnungen sind “mietpreisgedämpft”. Der GU ist zusammen mit einer Immobiliengesellschaft auch gleichzeitig Bauherr des Projektes.

Der Planer reichte eine Entwurfsplanung beim Generalunternehmer ein, die nach einigen Änderungen auch freigegeben wurde. Im Erläuterungsbericht erklärte der TGA-Planer: “Die Ausstattungsqualität Elektro erfolgt nach DIN 18015-2.” Nach Erstellung der Ausführungsplanung und Beginn mit den Installationsarbeiten fand der Bauherr einen Kaufinteressenten für die Wohnanlage. Dieser prüfte die Planung und monierte, dass die Mindestanforderungen der DIN 18015-2 an die Elektroausstattung der Wohnungen nicht gewahrt seien. Der Planer wurde aufgefordert, die Ausführungsplanung zu überarbeiten und den Mindeststandard, vermutlich Ausstattungsklasse, herzustellen. In dem Rechtsstreit geht es schließlich um die Kosten der Umplanung sowie Kosten von nachträglichen Umbauarbeiten an der Elektroinstallation.

Der Planer verteidigt sich mit dem Argument, dass die Unterschreitung der Mindestvorgaben der DIN 18015-2 im Bereich des geförderten bzw. mietpreisgedämpften Wohnungsbaus üblicher Baustandard sei und dass die gesamte Planung mehrere Monate lang intensiv diskutiert worden sei und der GU demzufolge bewusst auf das in der DIN 18015-2 vorgesehene Ausstattungsniveau verzichtet habe.

Die Norm DIN 18015-2 legt Mindestanforderungen für die Anzahl der Stromkreise abhängig von der Wohnfläche, die zu installierenden Steckdosen und Anschlüsse beispielsweise für Beleuchtung oder Lüfter sowie die Zahl der Anschlüsse für Verbraucher mit eigenem Stromkreis fest. Alle Anforderungen sollen gleichermaßen für die Planung von Neuanlagen als auch für die Umplanung von bestehenden Elektroinstallationen gelten. Außerdem sollen für jede Wohnung eine Leitung mit drei Außenleitern mit einer zulässigen Strombelastbarkeit von mindestens 63 A zum ersten Stromkreisverteiler vorgesehen werden. In der Norm wird eine Platzreserve von 20 % in den Verteilerkästen empfohlen, die Verlegung von Datenleitungen soll Leerrohren erfolgen usw.

Nachdem der TGA-Planer vor dem Landgericht zunächst verloren hatte, wies das OLG Düsseldorf die Klage des GU auf Erstattung der Mehrkosten ab.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Gericht stellt zunächst fest, dass der Planervertrag selbst keine Vorgaben hinsichtlich der Planung der Elektroinstallationen enthält. Unbestritten hatte der GU aber dem Planer vor Vertragsabschluss eine Baubeschreibung als Grundlage für dessen Angebot und Planung überlassen. Die dortigen Vorgaben für die Bauausführung blieben in ihrem Umfang deutlich hinter den Mindestanforderungen der DIN 18015-2 zurück.

Dass der Planer in einem nach Vertragsabschluss erstellten Erläuterungsbericht gesagt habe, dass die Vorgaben der DIN 18015 eingehalten werden, habe an dem ursprünglichen Vertragsinhalt nichts geändert.

Allerdings habe der Planer die allgemein anerkannten Regeln der Technik einzuhalten gehabt. Wie aus dem Leitsatz ersichtlich, ist das Gericht aber der Ansicht, dass die Inhalte der DIN 18015, jedenfalls was die in Teil 2 definierten Mindestanforderungen angeht, vermutlich keine allgemein anerkannten Regeln der Technik darstellen. Im Urteil heißt es dazu:

„Der Senat hegt bereits grundsätzliche Bedenken, ob die DIN 18015-2 ihrem Regelungsgehalt nach überhaupt geeignet ist, die Vermutungswirkung, allgemein anerkannte Regel der Technik zu sein, für sich in Anspruch zu nehmen. Eine Rechtfertigung für eine allgemeine Vermutungswirkung, wonach DIN-Normen allgemein anerkannte Regeln der Technik seien, vermag der Senat den Ausführungen bei den zitierten Stellen jedenfalls insoweit nicht zu entnehmen, als der Inhalt der Normen reine Ausstattungsfragen ohne Bezug zum Sicherheits- oder Qualitätsniveau betrifft.“

Das OLG Düsseldorf differenziert demnach zwischen „technischen Regelungen“, bei denen es um die Sicherheit und Qualität der Leistungen geht und sonstigen Regelungen, die ausschließlich einen gewissen „Komfortstandard” behandeln.

Unabhängig sei es juristisch kaum zu rechtfertigen, auch solchen DIN-Normen, die ihrer Bestimmung nach ausdrücklich erst der Etablierung bestimmter Regeln der Technik dienen sollen, eine Vermutungswirkung zuzusprechen, wonach sie bereits Regeln der Technik darstellen würden.

Im Ergebnis verneint das Gericht jedenfalls einen Planungsmangel.

Praxishinweis

Der Bundesgerichtshof hat mehrfach erklärt, dass bei dem Inhalt von DIN-Normen, die in einem geregelten Verfahren unter Einbeziehung aller Fachkreise zustande kommen würden, eine Vermutung dafür bestehe, dass es sich um allgemein anerkannte Regeln der Technik handeln würde. Bei dem hier besprochenen Urteil des OLG Düsseldorf handelt es sich hier um eine der ganz wenigen obergerichtlichen Entscheidungen, bei denen diese vom Bundesgerichtshof postulierte „Vermutungswirkung“ angezweifelt wird.

Das OLG Düsseldorf hingegen arbeitet heraus, dass schon nach der eigenen Zielstellung der DIN manche Regelwerke dazu dienen sollen, überhaupt erst Regeln der Technik zu etablieren, sei es erstmals für einen bestimmten Bereich oder sei es als Weiterentwicklung bestehender Regelwerke. Außerdem müsse zwischen Regeln der Technik und Regeln des Komforts unterschieden werden.

Wir halten dies absolut für zutreffend. Allerdings sollten Planer keinesfalls davon ausgehen, dass jedes Gericht über solche Dinge vertieft nachdenkt. Für die meisten Richter sind DIN-Normen, obgleich sie keine gesetzlichen Vorschriften sind, faktisch gleichbedeutend damit. Weder die Entstehungsgeschichte der einzelnen Normen noch deren Sinn werden hinterfragt.

Wir beobachten immer wieder, dass TGA-Planer in ihren Erläuterungsberichten Textbausteine verwenden, nach denen angeblich in ihrer Planung die Anforderungen der DIN 18015 oder der DIN_EN 16798 erfüllt werden. Das sollte man als Planer definitiv unterlassen und stattdessen konkret projektbezogen darstellen, welche Ausstattungsklassen, Luftgüteklassen usw. man in der Planung vorgesehen hat und an welchen Stellen gegebenenfalls in Normen höhere Komfort-Anforderungen oder Empfehlungen für die „thermische Behaglichkeit“ angesprochen werden.

Als Bauherr sollte man sich darüber im Klaren sein, dass man zwar im Planervertrag alle technischen Regelwerke aufzählen kann, dann aber vermutlich eine Planung bekommt, die teurer zu bauen ist, als das unter teilweiser Abweichung von überzogenen Empfehlungen in DIN-Normen möglich wäre. Braucht ein 40 m2-Appartment tatsächlich einen Stromanschluss mit 63 A? Wenn nicht gerade ein elektrischer Durchlauferhitzer vorgesehen ist, vermutlich nicht.

Hendrik Bach
Rechtsanwalt