Wer sein Angebot nicht aktualisiert, riskiert den Ausschluss!

1. Auftraggeber sind bei Wahrung der Verfahrensgrundsätze aus § 97 Abs. 1 und 2 GWB grundsätzlich berechtigt, die Vergabeunterlagen nachträglich zu ändern.

2. Dies umfasst auch die nachträgliche Vorgabe, dass bestimmte Unterlagen (hier: Formblatt Stoffpreisgleitklausel) im Falle des Fehlens bei Angebotsabgabe nicht nachgefordert werden, und das Angebot in diesem Fall auszuschließen ist.

3. Eine solche nachträgliche Vorgabe ist für den durchschnittlichen Bieter in Bezug auf ihre tatsächlichen wie rechtlichen Auswirkungen erkennbar, sodass eine mögliche Vergaberechtswidrigkeit innerhalb der Fristen des § 164 Abs. 3 Nr. 1 GWB zu rügen ist.

(VK Berlin, Beschluss vom 26.01.2023 – B2-35/22)
(Leitsätze (nicht amtlich))

26.01.2023 — In einem europaweiten Vergabeverfahren über die Ausführung von Landschaftsbauarbeiten lud die Vergabestelle während der laufenden Angebotsfrist am 17. Oktober 2022 ein sogenanntes Änderungspaket hoch, mit dem die Vergabeunterlagen um weitere, von den Bietern vorzulegende Unterlagen, ergänzt wurden. Dies beinhaltete auch ein von den Bietern auszufüllendes Formblatt über eine Stoffpreisgleitklausel. Die Vergabestelle stellte sowohl im Änderungspaket als auch aufgrund einer Bieteranfrage klar, dass diese Unterlage für den Fall ihres Fehlens bei Angebotsabgabe nicht nachgefordert werde.

Die spätere Antragstellerin lud ihr Angebot fristgerecht am 4. November 2022 über die Vergabeplattform hoch. Wie sich später herausstellte, hatte sie dieses Angebot bereits am 26.09.2022 erstellt und seitdem nicht mehr geändert. Wie sich ebenfalls herausstellte, waren ihr die Vorgaben des Änderungspaketes bekannt, da sie dieses ausweislich des elektronischen Protokolls der Vergabeplattform am 19.10.2022 heruntergeladen hatte.

Da diesem Angebot das vom Bieter auszufüllende Formblatt Stoffpreisgleitklausel nicht beigefügt war, wurde das Angebot von der Vergabestelle ausgeschlossen. Der Bieter rügte den Ausschluss mit der Begründung, die Vorlage des Formblattes sei nicht aus der ursprünglichen Ausschreibung erkennbar gewesen, und hätte deshalb nicht nachträglich gefordert werden dürfen. Jedenfalls hätte einem Bieter, der die erst im Laufe des Vergabeverfahrens geforderte Einreichung der Formblätter „erkennbar übersehen“ habe, die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, diese nachzureichen. Die Vergabestelle half dieser Rüge nicht ab, sodass der Bieter Nachprüfungsantrag bei der zuständigen Vergabekammer Berlin einreichte.

Aus den Gründen

Die Vergabekammer wies den Antrag in vollem Umfang zurück, und zwar in Form eines Beschlusses ohne vorherige mündliche Verhandlung. Sie stellte eingangs fest, dass sie den Nachprüfungsantrag gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3 GWB schon nicht übermittelt hätte, wenn die Antragstellerin im Antrag erwähnt hätte, dass mit dem Änderungspaket auch die Aufforderung zur Angebotsabgabe in Hinblick auf die Nachforderung von Unterlagen angepasst worden war.
Txt. Die Vergabekammer stellt in ihrem Beschluss klar, dass Auftraggeber bei Wahrung der Verfahrensgrundsätze aus § 97 Abs. 1 und 2 GWB (Transparenz Gleichbehandlung, Verhältnismäßigkeit) grundsätzlich berechtigt sind, die Vergabeunterlagen nachträglich zu ändern. Der im vorliegenden Verfahren erfolgte Nachforderungsausschluss sei von § 16 A EU Abs. 2 VOB/A gedeckt. Hiernach ist es öffentlichen Auftraggebern – a maiore ad minus – nicht nur erlaubt, gar keinen Gebrauch von der Nachforderungsmöglichkeit zu machen, sondern auch, die Nachforderung auf bestimmte Unterlagen zu beschränken. Sofern die Antragstellerin meine, dass ein Nachforderungsausschluss nicht nachträglich über eine Änderung der Vergabeunterlagen im Vergabeverfahren festgelegt werden kann, sei dem nicht zu folgen. Eine solche Beschränkung sei weder der Norm selbst zu entnehmen, noch aus allgemeinen Verfahrensgrundsätzen abzuleiten. Eine Nachforderung der fehlenden Unterlage bei der Antragstellerin war mithin ausgeschlossen und deren Angebot demnach wegen Unvollständigkeit zwingend auszuschließen.

Im Übrigen sei der Nachprüfungsantrag bereits nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB unzulässig und deswegen schon aus formalen Gründen zurückzuweisen. Danach sind aus den Vergabeunterlagen hervorgehende angebliche Verstöße gegenüber dem Auftraggeber innerhalb einer Frist von 10 Kalendertagen nach Kenntnisnahme zu rügen, andernfalls ist der Antrag unzulässig. Die mit dem Änderungspaket nachträglich aufgestellte Vorgabe, bei Angebotsabgabe auch das ausgefüllte Formblatt über die Stoffpreisgleitklausel vorzulegen, sei den Bietern genauso transparent übermittelt worden, wie der Hinweis, dass bei Nichtvorlage das Angebot auszuschließen ist. Diese Konsequenzen hätte ein durchschnittlicher Bieter sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht erkennen können. Die Vorgaben der Vergabestelle waren eindeutig. Ein abweichendes Verständnis wurde von der Antragstellerin auch nicht geltend gemacht. Für einen sorgfältig handelnden Bieter sei es ferner ohne besonderen Rechtsrat durch bloßes lesen der einschlägigen Normen (§ 16 EU Nr. 3 VOB/A und § 16 a EU Abs. 2 VOB/A) zu erfassen, dass ein Angebot, bei dem diese Unterlage fehlt, zwingend auszuschließen ist.

Es sei unstreitig, dass die Antragstellerin das Änderungspaket heruntergeladen habe und daher davon Kenntnis nehmen konnte. Soweit die Antragstellerin behauptet, die mit dem Änderungspaket erfolgten Änderungen schlicht übersehen zu haben, räumt sie letztlich ein, die erforderliche Sorgfalt außeracht gelassen zu haben. Dies stellt die Erkennbarkeit der die (mögliche) Vergaberechtswidrigkeit begründenden Tatsachen nicht infrage.

Praxishinweis

Natürlich ist es für Bieter ärgerlich, wenn im Laufe der Angebotsfrist Änderungen an den Vergabeunterlagen erfolgen. Dies enthebt sie jedoch nicht von der Obliegenheit, die von der Vergabestelle auf der Plattform eingestellten Unterlagen sowie die Antworten auf Bieterfragen sorgfältig zu prüfen. Darauf wird im Übrigen auch in allen Bewerbungsbedingungen bei Verfahren über Vergabeplattformen hingewiesen. Wer als Bieter der Meinung ist, die nachträglichen Vorgaben würden zu weit gehen, mag dies innerhalb der Fristen des § 164 Abs. 3 Nr. 1 GWB rechtzeitig rügen. Tut er dies nicht und gibt ein Angebot ab, welches die neuen Vorgaben nicht berücksichtigt, ist er selber schuld! In einem solchen Fall lässt sich sein Versäumnis nicht mehr nachträglich heilen, wenn der Auftraggeber die nachträgliche Einreichung von Unterlagen ausdrücklich ausgeschlossen hat.

Dr. Ulrich Dieckert
Rechtsanwalt