Zur Anwendbarkeit von § 650c Abs. 3 Satz 1 BGB im VOB-Vertrag

§ 650c Abs. 3 BGB ist ebenso wie § 650d BGB im VOB-Vertrag anwendbar. Will der Unternehmer nach § 650c Abs. 3 Satz 1 BGB vorgehen (also 80 % der Vergütung aus dem Nachtragsangebot verlangen), müssen aber auch im VOB-Vertrag die Voraussetzungen des § 650b BGB gegeben sein.

(OLG München, Beschluss vom 12.03.2024 – 9 U 3791/23 Bau)

Ein Auftragnehmer ist mit dem Bau eines großen Tunnels beauftragt. Zwischen Anfang 2020 und August 2023 hatte der Auftragnehmer insgesamt 44 Abschlagsrechnungen mit einem Volumen von insgesamt 282.000.000 € gestellt. Bis zur 44. Abschlagsrechnung waren 230.000.000 € bezahlt. Mit der darauffolgenden 45. Abschlagsrechnung verlangte der Auftragnehmer für diverse Nachträge die Auszahlung von 80 % der Vergütungssummen aus den Nachtragsangeboten und drohte für den Fall der Nichtbezahlung die Einstellung der Arbeiten an. Der Auftraggeber wandte sich daraufhin an das Landgericht München und wollte feststellen lassen, dass er nicht verpflichtet sei, diese 80 % zu bezahlen.

Während des Rechtsstreites kündigte der Auftragnehmer dann den Vertrag und erklärte, aus der 45. Abschlagsrechnung keine Zahlung mehr zu verlangen. Der Auftraggeber erklärte den Rechtsstreit daraufhin für erledigt, das Gericht hatte nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Das Landgericht München legte die Verfahrenskosten dem Bauunternehmer auf, wogegen dieser beim OLG München Berufung einlegte.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Gericht stellt zunächst fest, dass auch beim VOB-Bauvertrag die „80-Prozent-Regel“ aus § 650c BGB und die Regelungen über die einstweilige Verfügung gemäß § 650d BGB anwendbar sind. Allerdings meint das Gericht, dass Voraussetzung für die Anwendbarkeit der 80-Prozent-Regel sei, dass eine Anordnung des Auftraggebers im Sinne von § 650b BGB vorliegt.

Das Urteil enthält keine näheren Ausführungen zum Inhalt der Nachtragsforderungen, es scheint aber so gewesen zu sein, dass sämtliche Nachtragsangebote erst nach Ausführung der jeweiligen Leistungen vorgelegt worden waren.

Hingegen ist es gemäß § 650b BGB so, dass der Auftraggeber zuerst einen Änderungswunsch hat, anschließend ist ein Nachtragsangebot zu erstellen und wenn man sich nicht über die Vergütung einigt, kann der Auftraggeber die Leistungsänderung einseitig anordnen. Dies tut er dann allerdings in Kenntnis der vom Unternehmer einseitig geforderten Nachtragsvergütung. Das OLG München geht davon aus, dass die Nachtragsvorschriften in §§ 650b, 650c und 650d BGB ein einheitliches System darstellen und für die Anwendung der „80-Prozent-Regel“ der im BGB vorgesehene Ablauf aus Änderungswunsch, Nachtragsangebot und Anordnung eingehalten sein muss. Ist dies nicht gegeben, kann diese Regel auch nicht angewendet werden.

Praxishinweis

Wir haben beim Bauen sehr häufig die Situation, dass die Initiative für eine Leistungsänderung nicht vom Auftraggeber ausgeht, sondern vom Bauunternehmer, nämlich wenn dieser erkennt, dass zusätzliche Leistungen notwendig sind oder eine Leistungsänderung erforderlich ist. Am Anfang steht also oft kein Änderungswunsch des Auftraggebers, sondern ein Hinweis des Auftragnehmers.

Es war schon immer richtig und geboten, hierüber eine ausdrückliche Entscheidung des Auftraggebers einzuholen (Anordnung einer Leistungsänderung). Zusätzlich kann ein Auftragnehmer auf § 650b BGB verweisen und eine Anordnung in Textform verlangen.

Natürlich ist es keine Voraussetzung für den Vergütungsanspruch, dass das Nachtragsangebot zeitlich vor der Anordnung der Leistungsänderung unterbreitet wird. Trotzdem sollte jeder Bauunternehmer versuchen, sofort mit der Mitteilung an den Auftraggeber, dass eine Leistungsänderung erforderlich ist, auch ein Nachtragsangebot vorzulegen. Hierbei ist es wichtig zu wissen, dass dieses Nachtragsangebot nicht zwingend eine Massenermittlung und Einheitspreise enthalten muss. Weder das Gesetz noch die VOB/B (zu der überhaupt nichts zu Nachtragsangeboten steht) verlangen dies. Vielmehr reicht eine grobe Ermittlung der verlangten Zusatzvergütung aus. Ebenso darf ein Nachtragsangebot den Hinweis enthalten, dass etwaige Auswirkungen auf die Bauzeit in den angebotenen Preisen nicht enthalten sind.

Wenn so vorgegangen wird, dann ist auch die „80-Prozent-Regel“ anwendbar und die Möglichkeit der einstweiligen Verfügung gegeben.

Es wird abzuwarten sein, ob sich die Auffassung des OLG München durchsetzt. Unserer Auffassung nach ist die Behauptung, alle Nachtragsvorschriften im BGB würden ein „einheitliches Regelungssystem“ bilden, nicht richtig. Die Entscheidung des Gesetzgebers, dass geänderte und zusätzliche Leistungen nach tatsächlich erforderlichen Kosten plus angemessenen Zuschlägen für AGK und Wagnis und Gewinn zu vergüten sind, wenn keine Einigung erfolgt, ist unserer Auffassung nach unabhängig von den sonstigen Regelungen gewollt gewesen. Wenn das richtig ist, sind die Regelungen aber eben kein „einheitliches System“. Ebenso sollte sich verstehen, dass § 650c BGB auch dann anwendbar ist, wenn der Besteller die Anordnung mündlich und nicht in Textform erteilt hat.

Trotz der unzutreffenden Begründung mag die Entscheidung im Ergebnis richtig sein. Der Gesetzgeber hat eine Art „Regelablauf” für die Behandlung von Leistungsänderungen formuliert. Das schließt es nicht aus, dass die Dinge auf der Baustelle anders ablaufen als in dem vom Gesetzgeber angenommenen „Regelfall“. Was die „80-Prozent-Regel“ in § 650c BGB angeht, ist es aber gut vertretbar, dass man diese nur dann für anwendbar hält, wenn der Besteller in Kenntnis der vom Unternehmer verlangten Vergütung die Leistungsänderung angeordnet hat und dem Unternehmer die Anwendbarkeit dieser Regelung verwehrt, wenn er die von ihm verlangte Vergütung erst nach Ausführung der Leistungen beziffert hat. Das wäre dann aber eine ganz andere Begründung. Ob die Leistungsänderung auf einem Hinweis des Unternehmers beruht oder einem Änderungswunsch des Bestellers, sollte hingegen keine Rolle spielen.

Hendrik Bach
Rechtsanwalt