Behinderungen durch Leistungsänderungen (Nachträge): welche Anspruchsgrundlage?

Eine zusätzliche Vergütung nach § 2 Abs. 5 VOB/B kann auch aus mittelbaren bauzeitlichen Auswirkungen, wie etwa Gerätestillstand, von – unmittelbar Änderungen des Bauentwurfs betreffenden – Anordnungen gem. § 1 Abs. 3 VOB/B resultieren. Entsprechendes gilt für einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung nach § 2 Abs. 6 VOB/B i. V. m. § 1 Abs. 4 VOB/B.*)

(BGH, Beschluss vom 23.03.2022 – VII ZR 191/21)

23.03.2022 — Im Rahmen von Abriss- und Schadstoffsanierungsarbeiten ist vorgesehen, dass parallel zu Abrissarbeiten in einem Gebäudeteil eine Schadstoffsanierung eines anderen Gebäudeteils stattfindet. Im Anschluss an die Schadstoffsanierung soll dieser Gebäudeteil ebenfalls abgerissen werden. Bei der Schadstoffsanierung kommt es zu erheblichen zusätzlichen Leistungen, die die Arbeiten verzögern, so dass die Abbrucharbeiten zeitweise zum Stillstand kommen. Der Auftragnehmer hält in dieser Zeit Geräte auf der Baustelle vor, die er nicht produktiv einsetzen kann. Hierfür macht er keine Entschädigung gemäß § 642 BGB geltend, sondern stützt seine Ansprüche auf § 2 Abs. 6 VOB/B.

Die Entscheidung des Gerichts

Der BGH führt aus, dass in der Rechtsprechung und Literatur hinreichend geklärt sei, dass bei Vorliegen einer Änderungsanordnung nach § 1 Abs. 3 oder 4 VOB/B der Anspruch auf Zahlung einer zusätzlichen Vergütung aus § 2 Abs. 5 oder 6 VOB/B neben den unmittelbaren Nachtragskosten auch solche (mittelbaren) Mehrkosten erfasse, die dem Auftragnehmer durch bauzeitliche Auswirkungen der Änderungsanordnung – wie z. B. hier ein Gerätestillstand – entstehen.

Praxishinweis

Zwei Dinge sind an diese Entscheidung für die Praxis wichtig. Zum einen ist es so, dass die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruches wegen Baubehinderung nach § 642 BGB auf kalkulatorischer Grundlage erfolgt. Das kann im Einzelfall vorteilhafter sein als die tatsächlich erforderlichen Kosten, die nach § 2 Abs. 5 oder 2 Abs. 6 VOB/B geltend gemacht werden können, aber eben auch nicht. Wenn der Auftragnehmer seine Leistungen vor Ort nicht direkt anbietet, ist zudem eine Behinderungsanzeige erforderlich, z.B. wenn der Bagger noch gar nicht auf der Baustelle ist, aber auf dem Hof des Bauunternehmers ungenutzt herumsteht. Wird in solchen Fällen keine Behinderungsanzeige geschrieben, gibt es auch keinen Entschädigungsanspruch.

Diese Probleme bestehen nicht, wenn der Anspruch darauf gestützt wird, dass die Behinderung direkte Folge einer Anordnung von Leistungsänderungen war.

Der zweite wichtige Punkt ist, dass über die Nachtragsvergütung auch „Spätfolgen“ einer Leistungsänderung geltend gemacht werden können. Das kann etwa eine Bauzeitverlängerung aufgrund der Tatsache sein, dass sich durch die Erbringung der Nachtragsleistungen die Bauzeit in den Winter verschiebt, wodurch Monate später weitere Folgekosten entstehen, an die bei der Aufstellung des Nachtrages möglicherweise gar noch gar nicht gedacht worden ist. Gleiches gilt für Preissteigerungen, die den Auftragnehmer treffen, weil sich die Bauzeit aufgrund der Erbringung von Nachtragsleistungen erheblich verlängert hat. Solche finanziellen Spätfolgen können über § 642 BGB überhaupt nicht geltend gemacht werden.

Allerdings muss der Auftragnehmer berücksichtigen, dass wenn eine Nachtragsvereinbarung abgeschlossen wird, und man sich auf eine bestimmte Nachtragsvergütung geeinigt hat, spätere Nachforderungen ausgeschlossen sind, wenn der Auftragnehmer sich diese nicht ausdrücklich vorbehalten hat (OLG München, Urteil vom 26.06.2012 – 9 U 3604/11 Bau).

An dieser Stelle gibt es einen klaren Zielkonflikt. Der Auftragnehmer möchte gerne zeitnah eine Vergütung für die Nachtragsleistungen vereinbaren. Der Auftraggeber ist häufig hierzu nur bereit, wenn damit auch alle Ansprüche abgegolten sind. Der AN hat also den Vorteil einer schnellen Vergütungsabrede, erkauft sich diesen Vorteil aber damit, dass er (häufig) auf Ansprüche wegen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bekannter finanzieller Folgekosten der Bauzeitverlängerung verzichten muss. Der Auftraggeber wiederum muss entscheiden, ob er bei einer schnellen Vergütungsvereinbarung (gefühlt oder tatsächlich) etwas mehr bezahlt als vielleicht nötig, aber damit die Sicherheit erhält, dass der Auftragnehmer die oben angesprochenen „finanziellen Spätfolgen“, falls sie denn eintreten, nicht mehr geltend machen kann.

Hendrik Bach
Rechtsanwalt