Ausschluss aus dem Vergabeverfahren muss gut begründet werden

Pflichtverletzungen in früheren Aufträgen müssen detailliert nachgewiesen werden. Vor einem Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ist der Auftraggeber verpflichtet, das betreffende Unternehmen anzuhören, damit dieses die Möglichkeit erhält, die Vorwürfe zu widerlegen oder mögliche Selbstreinigungsmaßnahmen darzulegen.

(VK Sachsen, Beschluss vom 04.08.2022 – 1/SVK/013-22)

Ein öffentlicher Auftraggeber schließt einen Gerüstbauer von einem europaweit ausgeschriebenen Vergabeverfahren aus. Da der ausgeschlossene Bieter den günstigsten Preis angeboten hatte, hätte er ohne Ausschluss den Zuschlag erhalten müssen.

Der Auftraggeber hatte dem Bieter zuvor mitgeteilt, dass man seine Eignung wegen Vertragsverletzungen bei drei früheren Aufträgen prüfe. Der Bieter antwortete, dass bei dem ersten Bauvorhaben nach seiner Überzeugung eine freie Kündigung durch den Auftraggeber erfolgt sei. Er sei berechtigt gewesen, zusätzliche Leistungen abzulehnen, weil diese für die Erbringung seines Auftrages nicht erforderlich gewesen seien (§ 1 Abs. 4 VOB/B). Obwohl in dem Beschluss keine genauen Zahlen genannt werden, kann man dem Sachverhalt entnehmen, dass sich der Auftrag des Gerüstbauers aufgrund der vom AG angeordneten und vom AN verweigerten Zusatzleistungen vermutlich mehr als verdoppelt hätte.

Auch bei dem zweiten Bauvorhaben würde eine freie Kündigung vorliegen. Bei dem dritten Auftrag handele es sich um ein laufendes Vorhaben. Über die strittigen Nachtragsforderungen habe es zwischenzeitlich eine Einigung gegeben.

Das Gericht entnimmt der Vergabeakte, dass der Auftraggeber zunächst insgesamt fünf konkrete frühere öffentliche Aufträge benannt habe, in denen er der Antragstellerin ein erhebliches bzw. fortdauerndes Fehlverhalten vorgeworfen hatte. Das Aufklärungsschreiben habe aber nur drei der fünf früheren öffentlichen Aufträge zum Gegenstand gehabt. Im Nachprüfungsverfahren beschränkte sich der Vortrag des Auftraggebers lediglich noch auf den ersten früheren öffentlichen Auftrag, zu dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem der Bieter seine Schlussrechnungsforderung einklagt, und der Auftraggeber mit Gegenansprüchen aufrechnet.

Der Bieter erklärt, er erbringe seine Gerüstbauleistungen zu mehr als 90 % für öffentliche Auftraggeber, und die Vergabesperre hätte für ihn gravierende Folgen. Eine derart weitreichende Konsequenz allein auf Grundlage eines streitigen Sachverhaltes zu stützen, sei mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar.

Die Entscheidung der Vergabekammer

Die Vergabekammer gibt dem Antrag statt, und erklärt den Ausschluss für unrechtmäßig und verpflichtet den Auftraggeber, die Angebote unter Einbeziehung des Angebots der Antragstellerin erneut zu werten und dabei die Rechtsauffassung der Vergabekammer hinsichtlich des Ausschlusses zu beachten.

Zwar sei es nicht erforderlich, dass die Tatsachen, auf die die Ausschlussentscheidung nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB bzw. § 6e VOB/A EU gestützt werden, unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sein müssen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juli 2018 – Verg 7/18 m. w. N.). Da solche Verfahren viele Jahre in Anspruch nehmen, müsse der Auftraggeber auch Ausschlussgründe geltend machen können, über die noch nicht gerichtlich entschieden worden sei.

Ebenfalls nicht erforderlich sei es nach Auffassung der Vergabekammer, dass der öffentliche Auftraggeber bezüglich der erheblichen oder fortdauernd mangelhaften Vertragserfüllung bei früheren Aufträgen absolute Gewissheit erlangt haben müsse. Die abweichende Ansicht anderer Gerichte (z. B. OLG Düsseldorf, Verg 7/18) erachtet die Vergabekammer Sachsen als zu streng.

Die VK Sachsen hält es für einen Ausschluss wegen vorangegangener Schlechtleistung nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB auch als ausreichend an, wenn der öffentliche Auftraggeber Indiztatsachen vorbringt, die von einigem Gewicht sind, auf gesicherten Erkenntnissen aus seriösen Quellen basieren und die die Entscheidung des Auftraggebers zum Ausschluss des Bieters nachvollziehbar erscheinen lassen. Das sei der Fall, wenn eine hohe, jedenfalls aber überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass es tatsächlich zu einer entsprechenden Pflichtverletzung gekommen ist und der Auftraggeber aus wichtigem Grund schadenersatzbegründend gekündigt habe.

Allerdings sah die Vergabekammer diese Voraussetzungen in dem entschiedenen Fall als nicht gegeben an.

Wesentlicher Streitpunkt in dem Verfahren war die Weigerung des Gerüstbauers, bei einem Sanierungsbauvorhaben zusätzliche Gerüste aufzustellen. Die Vergabekammer erörtert im Detail Voraussetzungen des §§ 1 Abs. 4 VOB/B und erklärt, dass sie im Rahmen des Vergabeverfahrens die Frage, ob die zusätzlich angeordneten Gerüste im Sinne von § 1 Abs. 4 VOB/B „erforderlich“ für die Vertragserfüllung gewesen sein, nicht beantworten könne. In dem Vergütungsrechtsstreit habe das Landgericht festgestellt, dass die Frage, ob es sich um erforderliche zusätzliche Leistungen gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 VOB/B handelt, nur durch einen Sachverständigen geklärt werden könnte. Der Ausgang des Verfahrens vor dem Landgericht sei daher vollkommen offen. Die Vergabekammer könne im Nachprüfungsverfahren selbst nicht feststellen, dass eine hohe jedenfalls überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es sich um erforderliche zusätzliche Leistungen gehandelt habe, deren Erbringung der Gerüstbauer zu Unrecht verweigert habe. Ebenso könne im Nachprüfungsverfahren nicht beurteilt werden, ob der Gerüstbauer wegen der erheblichen Erweiterung des Auftrages berechtigt gewesen wäre, sich darauf zu berufen, dass sein Betrieb auf eine derartige Auftragserweiterung nicht eingerichtet war.

Bezüglich der weiteren vier früheren öffentlichen Aufträge habe der Auftraggeber schon nicht hinreichend dargelegt, dass die Antragstellerin eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung dieser früheren öffentlichen Aufträge erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat.

Unabhängig hiervon sei so, dass in dem Anhörungsschreiben lediglich drei Bauvorhaben genannt waren, während der Auftraggeber seine Ausschlussentscheidung offensichtlich auf angebliche Pflichtverletzungen bei fünf früheren Bauvorhaben gestützt hat. Die zwei Projekte zu denen der Bieter nicht angehört worden sei, könnten von vornherein nicht zur Begründung des Ausschlusses herangezogen werden.

Praxishinweis

Auch wenn das Nachprüfungsverfahren für den Auftraggeber verloren ging, sind die grundsätzlichen Erwägungen der VK Sachsen für die Auftraggeberseite positiv zu werten. Es gibt häufig eine große Unsicherheit, wie mit Pflichtverletzungen von Bietern in früheren Projekten umzugehen ist. Nach der Rechtsprechung hierzu ist klar, dass nicht abgewartet werden muss, ob über die angenommenen Pflichtverletzungen in Verfahren vor den Zivilgerichten schon entschieden worden ist. Ebenso muss im Vergabeverfahren kein vollständiger Beweis der Pflichtverletzungen geführt werden, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit reicht aus.

Man braucht für die Darlegung aber konkrete wiederholte Pflichtverletzungen, die zu Schäden beim AG geführt haben. Dass jemand Zusatzleistungen in einem erheblichen Umfang nicht ausführen will, kann eine Pflichtverletzung sein, muss es aber nicht. Erst recht ist das Stellen überhöhter Nachtragsforderungen keine Pflichtverletzung, weil das Nachtragsangebot letztlich die einseitigen Preisvorstellung des Auftragnehmers beinhaltet. Der Auftraggeber ist ja nicht verpflichtet, solche überhöhten Angebote zu beauftragen. Auch der Umstand, dass ein Auftragnehmer Mängel nach Fristsetzung nicht behoben hat, muss nicht zwingend eine Pflichtverletzung sein. Möglicherweise beruft sich der Auftragnehmer auf planerisches Mitverschulden oder Unverhältnismäßigkeit der Mangelbeseitigung. Solche Dinge können de facto nur von Sachverständigen geklärt werden. Das funktioniert im Nachprüfungsverfahren nicht.

Stattdessen sollten sich Auftraggeber darauf konzentrieren, nachweisbare Pflichtverletzungen darzulegen, die rechtlich eindeutig sind. Das können etwa wiederholte und gezielt fehlerhafte Abrechnungen sein, dass kann eine eindeutig unbegründete Leistungsverweigerung sein und ähnliche Dinge. Es muss wegen dieser Pflichtverletzungen nicht unbedingt zu einer Kündigung gekommen sein, es reicht aus, wenn dem Auftraggeber Schäden entstanden sind. Die Pflichtverletzungen und die Schäden müssen sauber dokumentiert sein, bestenfalls durch bauleitende Architekten, die hierüber Vermerke anfertigen. Dann kann der Ausschluss auch vor der Vergabekammer Bestand haben.

Hendrik Bach
Rechtsanwalt