Keine Vergütung bei nicht vollständiger Belehrung über Widerrufsrecht

Keine Vergütung des Bauunternehmers für Leistungen aus einem Bauvertrag bei nicht vollständiger Belehrung des Verbrauchers über sein Widerrufsrecht vor Vertragsschluss außerhalb von Geschäftsräumen

(EuGH, Urteil vom 17.05.2023 – C-97/22)

Was ist passiert? – Ausgangsrechtsstreit vor dem LG Essen

Ein Bauunternehmen schloss mit einem Verbraucher bei diesem zuhause (d. h. außerhalb von Geschäftsräumen) mündlich einen Bauvertrag (§ 650a BGB) über die Erneuerung der Elektroinstallation in seinem Haus. Ein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag liegt gemäß § 312b Abs. 1 BGB immer dann vor, wenn Verträge bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist, d. h. beim Verbraucher zuhause, in einem Café oder auch auf der Baustelle (ohne vorherigen Vor-Ort Termin). In diesem Fall ist der Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher über das ihm zustehende Widerrufsrecht gem. § Art. 246a Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbauch (EGBGB), §§ 356, 357 und 312g BGB zu belehren. Zu dieser Belehrung gehört auch, wenn die Leistungserbringung vor Ablauf der Widerrufsfrist von 14 Tagen ab Vertragsschluss erfolgen soll, dass der Unternehmer hierfür die ausdrückliche Zustimmung des Verbrauchers einholt und darauf hinweist, dass der Verbraucher bei vollständiger Leistungserbringung sein Widerrufsrecht verliert und ansonsten Wertersatz für die im Zeitpunkt eines Widerrufs bereits erbrachten Leistungen zahlen muss. Das alles ist im vorliegenden Fall nicht passiert.

Es kam sodann, wie es kommen musste: Das Bauunternehmen legte nach der vollständigen Erbringung seiner vertraglichen Leistung seine Rechnung. Statt diese zu begleichen, widerrief der Verbraucher den Bauvertrag mit der Begründung, er sei vor Abschluss des Bauvertrages nicht ordnungsgemäß (vollständig) über sein Widerrufsrecht belehrt worden. Daraufhin reichte das Bauunternehmen Zahlungsklage beim LG Essen ein. Diese ließ es damit begründen, dass ihm trotz der fehlenden ordnungsgemäßen Belehrung des Verbrauchers über sein Widerrufsrecht, insbesondere nach § 356 BGB (s. o.), ein Zahlungsanspruch zustehe, da dies sonst nach der Richtlinie 2011/837EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 25.20.2011 über die Rechte der Verbraucher (Verbraucherrechte-RL) eine „unverhältnismäßige Sanktion“ darstelle, insbesondere weil gegen den allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts – das Verbot der ungerechtfertigten Bereicherung – verstoßen werde und der Verbraucher dadurch einen Vermögenszuwachs erlange, der ihm nicht zustehe.

Diese Frage der Auslegung der Verbraucherrechte-RL konnte das LG Essen nicht klären und legte sie dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH hatte sich mit folgender Vorlagefrage zu beschäftigen:

„Ist Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie 2011/83 dahin auszulegen, dass er in dem Fall, dass der Besteller seine auf den Abschluss eines Bauvertrages, der außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen worden ist, gerichtete Willenserklärung erst widerruft, nachdem der Unternehmer seine Leistungen bereits (vollständig) erbracht hat, jegliche Wertersatz- oder Ausgleichsansprüche des Unternehmers auch dann ausschließt, wenn die Voraussetzungen eines Wertersatzanspruchs nach den Vorschriften über die Rechtsfolgen des Widerrufs zwar nicht vorliegen, der Besteller aber durch die Bauleistungen des Unternehmers einen Vermögenszuwachs erhalten hat, d. h. bereichert ist?“

Sinngemäß wollte das LG Essen also wissen, ob der Verbraucher gemäß der Verbraucherrechte RL von jeglicher Verpflichtung zur Vergütung dieser außerhalb von Geschäftsräumen erbrachten Leistung des Bauunternehmens freigestellt ist, wenn er nicht ordnungsgemäß (meint auch vollständig) über sein Widerrufsrecht belehrt wurde, aber erst nach Vertragserfüllung widerrufen hat.

Wie hat der EuGH diese Vorlagefrage beantwortet?

Bevor näher auf diese Fragestellung eingegangen wird, soll vorab noch folgender interessanter Aspekt etwas näher beleuchtet werden:

Der EuGH befasste sich nicht gleich mit der Vorlagefrage, sondern zunächst mit der Frage, ob der gegenständliche Bauvertrag seiner Rechtsnatur nach überhaupt unter den Anwendungsbereich der Verbraucherrechte-RL falle. Warum?

Unter den Anwendungsbereich fallen gemäß Art. 2 Nr. 6 der RL Dienstleistungsverträge, wobei als „Dienstleistungsvertrag jeder Vertrag qualifiziert wird, der kein Kaufvertrag ist und nach dem der Unternehmer eine Dienstleistung für den Verbraucher erbringt oder deren Erbringung zusagt und der Verbraucher hierfür den Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt“.

In diesem Zusammenhang hatte der BGH bereits mit Urteil 07.07.2016 (– I ZR 68/15) entschieden, dass es bei dieser Begriffsdefinition im Kern um Dienstverträge geht, die keine Arbeitsverträge sind, sowie um Werk- und Werklieferungsverträge und Geschäftsbesorgungsverträge. Folglich kann davon ausgegangen werden, dass auch Bauverträge, die ein Spezialfall des Werkvertrages sind, als Dienstvertrag im Sinne der Verbraucherrechte-RL einzustufen sind und mithin unter deren Anwendungsbereich fallen.

Zu dieser Annahme ist auch das LG Essen gekommen, denn nach Hinweis des EuGH zu den Zweifeln an der Rechtsnatur des streitgegenständlichen Vertrages, stellte es klar, dass dieser Bauvertrag als „Dienstleistungsvertrag“ im Sinne von Art. 2 Nr. 6 der RL zu qualifizieren sei.

Allerdings muss an dieser Stelle hinzugefügt werden, dass der BGH diese Entscheidung vor Einführung des neuen Bauvertragsrechts 2018 und damit der Regelungen zum Bauvertrag (§ 650 ff. BGB) getroffen hatte. Insoweit könnte es auch möglich sein, dass ein anderes Land- oder Oberlandesgericht zu einer anderen Einschätzung kommt oder gar der BGH diese Frage zukünftig noch einmal neu zu klären hat. Darauf sollten Bauunternehmer jedoch derzeit nicht spekulieren, sondern unter Berücksichtigung der BGH-Entscheidung und der dem EuGH-Urteil zugrunde liegenden Einschätzung des LG Essen dem Verbraucher auch bei Bauverträgen eine ordnungsgemäße (vollständige) Belehrung, entsprechend der gesetzlichen Vorschriften, über sein Widerrufsrecht erteilen.

Hinsichtlich der Vorlagefrage ist der EuGH zu folgender Entscheidung gekommen:

Der Verbraucher kann nach der Verbraucherrechte-RL bei Ausübung seines Widerrufsrechts grundsätzlich nicht in Anspruch genommen werden, wenn er nicht vom Unternehmer verlangt hat, dass dieser mit seiner Leistungsausführung bereits während der 14-tägigen Widerrufsfrist beginnt bzw. diese vollständig abschließt. In diesem Falle muss der Verbraucher „einen Betrag zahlen, der auf Grundlage des in diesem Vertrag vereinbarten Gesamtpreises berechnet wird und verhältnismäßig dem entspricht, was bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Unternehmer von der Ausübung des Widerrufsrechts unterrichtet worden ist, im Vergleich zum Gesamtumfang der in diesem Vertrag vereinbarten Leistungen geleistet worden ist“.

Dieser Grundsatz gilt aber nur dann, wenn der Unternehmer den Verbraucher zuvor, bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag (und einem Fernabsatzvertrag), über die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung seines Widerrufsrechts sowie über die Pflicht zur Bezahlung bereits erbrachter Leistungen informiert hat.

Hat der Unternehmer es allerdings, wie im Fall vor dem LG Essen, unterlassen, den Verbraucher ordnungsgemäß (vollständig) über sein Widerrufsrecht zu belehren, hat der Verbraucher nach der Entscheidung des EuGH nicht für die während der Widerrufsfrist ganz oder teilweise erbrachten Leistungen aufzukommen. Vielmehr ist der „Verbraucher von jeglicher Verpflichtung befreit, dem Unternehmer den Preis für die von ihm während der Widerrufsfrist erbrachten Leistungen zu zahlen“. Zudem verlängert sich entsprechend der Verbraucherrechte-RL zusätzlich noch die Widerrufsfrist auf 1 Jahr und 2 Wochen ab Vertragsschluss.

Hintergrund dieser Entscheidung ist, dass die Verbraucherrechte-RL den Verbraucher im Kontext eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrages besonders schützen soll, da der Verbraucher möglicherweise psychisch unter Druck stehe oder einem Überraschungsmoment ausgesetzt sei und zwar auch dann, wenn der Unternehmer auf Veranlassung des Verbrauchers zu diesem nach Hause gekommen ist. Die vorvertragliche Information des Verbrauchers über sein Widerrufsrecht sei daher von grundlegender Bedeutung und erlaube es dem Verbraucher, seine Entscheidung zum Vertragsschluss in Kenntnis der Sachlage zu treffen. Dieses dadurch festgelegte hohe Verbraucherschutzniveau sehe es im Einklang mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht vor, dass dem Verbraucher bei Nichteinhaltung der Informationspflicht Kosten entstehen. Aufgrund des Umstandes, dass die Verbraucherechte-RL eine Vollharmonisierung vorgibt und deshalb im nationalen Recht weder erleichternd noch verschärfend von den Vorgaben der RL abgewichen werden darf, gelten diese Erwägungen und Regelungen auch vollumfänglich für die Widerrufsbestimmungen im BGB.

Für das hier betroffene Bauunternehmen hat das zur Folge, dass es sämtliche Kosten für seine während der Widerrufsfrist erbrachten vertraglichen Leistungen der Elektroinstallation selbst tragen muss.

Einen Ausgleich gibt es mit dem EuGH also auch nicht in Form eines Wertersatzes!

Allerdings wäre zu überlegen, ob die Erwägungen des 21. Senats des Kammergerichts aus seinem Urteil vom 16.11.2021 – 21 U 41/21 als Korrektiv zu der Entscheidung des EuGH herangezogen werden können. Das Kammergericht ist in seinem Urteil zu dem Ergebnis gekommen, dass der Ausschluss des Wertersatzes im Einzelfall als treuwidrig im Sinne von Treu und Glauben – ein allgemeiner juristischer Grundsatz (§ 242 BGB) – zulasten des Unternehmers anzusehen sei, wenn der Unternehmer die Widerrufsbelehrung des Verbrauchers fahrlässig unterlassen habe, die ausgeführten Leistungen mangelfrei sind und vom Verbraucher genutzt worden seien. Zudem darf der beanspruchte Wertersatz weder aus Sicht des Verbrauchers noch aus Sicht eines objektiven Dritten unangemessen sein.

Inwieweit diese Erwägungen in Fällen, wie dem der EuGH Entscheidung zu Grunde liegenden, als Korrektiv herangezogen werden können, bleibt dem BGH vorbehalten.

Fazit

Das LG Essen hatte das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH über die Vorlagefrage ausgesetzt. Nunmehr wird es das Verfahren wieder aufnehmen und in nächster Zeit ein Urteil verkünden. Die Entscheidung bleibt abzuwarten. Eines sollte jedoch jedem Unternehmer eines Werk-, Bau-, Werkliefer- oder Geschäftsbesorgungsvertrages klar sein: Die vollständige und richtige Belehrung des Verbrauchers über sein Widerrufsrecht bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag entscheidet darüber, ob seine während der Widerrufsfrist erbrachten Leistungen vergütet werden oder nicht! Daher sollten in der täglichen Geschäftspraxis die vorhandenen Widerrufsbelehrungen auf Vollständigkeit und Übereinstimmung mit den Vorgaben des Gesetzgeber geprüft und sollte darauf geachtet werden, dass im Rahmen der Belehrung auch der Hinweis auf die Vergütung der bereits erbrachten Leistungen enthalten ist und die Zustimmung des Verbrauchers zur Leistungsausführung vor Ablauf der Widerrufsfrist eingeholt wurde.

Sollten Sie hierbei juristische Unterstützung benötigen, weil bei der Ausgestaltung dieser Formulare AGB-rechtliche Erwägungen zu berücksichtigen sind, wenden Sie sich gerne an unsere Kanzlei.

Chantal Hasselbach
Rechtsanwältin