Gründe für eine produktbezogene Ausschreibung müssen in der Vergabeakte dokumentiert sein

1. Das Gebot der produktneutralen Ausschreibung ist eine der Grundsäulen des diskriminierungsfreien Wettbewerbs. Nach § 7 EU Abs. 2 Satz 1 VOB/A dürfen grundsätzlich keine bestimmten Erzeugnisse, Verfahren, Ursprungsorte usw. durch den öffentlichen Auftraggeber vorgegeben werden. Durch diesen Grundsatz wird das Bestimmungsrecht des Auftraggebers eingeschränkt, um eine grundlose Wettbewerbsverengung durch Produkt- bzw. herstellerbezogene Leistungsbeschreibungen zu verhindern.

2. Eine Ausnahme vom Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung ist möglich, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, § 7 EU Abs. 2 Satz 1 VOB/A. Das ist der Fall, wenn vom Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind, die Bestimmung willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.

3. Die aus dem Auftragsgegenstand abgeleiteten Sachgründe für eine konkrete Produktvorgabe und der Willensbildungsprozess des Auftraggebers müssen in der Vergabeakte nachvollziehbar dokumentiert werden. Aus der Dokumentation müssen sich das Vorhandensein der Gründe und die daran anknüpfende Entscheidung des Auftraggebers für einen unbefangenen Dritten nachvollziehbar erschließen lassen.

(VK Sachsen, Beschluss vom 25.08.2023, 1/SVK/019-23)

In einem euroweitem Vergabeverfahren über Gebäudeautomation schreibt der öffentliche Auftraggeber für die Automationsstationen ein bindend einzusetzendes Fabrikat vor. Diese Vorgabe wird von einem Bieter als vergaberechtswidrig gerügt, weil damit ein Verstoß gegen die Pflicht zur produktneutralen Ausschreibung vorläge. Die Vergabestelle weist die Rüge zurück, weil technische Zwänge und besondere wirtschaftliche Gründe (hoher Ersatzteilhaltungs-, Wartungs- und Schulungsaufwand) vorlägen, welche eine Beschränkung des Wettbewerbs rechtfertigen würden. Daraufhin stellt der Bieter Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer Sachsen und bestreitet darin die von der Vergabestelle genannten Gründe.

Die Entscheidung der Vergabekammer

Die VK Sachsen gibt dem Nachprüfungsantrag des Bieters statt. In der Entscheidungsbegründung setzt sich die Vergabekammer in lesenswerter Weise mit den Voraussetzungen des § 7 EU Abs. 2 Satz 1 VOB/A auseinander. Insbesondere rekapituliert die Vergabekammer die bisherige Rechtsprechung, mit welcher Ausnahmen vom Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung gerechtfertigt wurden. Das ist u. a. dann der Fall, wenn vom Auftraggeber objektive und auftragsbezogene Gründe in nachvollziehbarer Weise angegeben worden sind und solche Gründe auch tatsächlich bestehen. Solche Ausnahmen können beispielsweise auf die besondere Aufgabenstellung, auf technische Zwänge, auf die Nutzung der Sache, auf gestalterische Anforderungen und/oder besondere Aspekte zurückzuführen seien. Die Wirtschaftlichkeit kann berührt sein, wenn eine produktneutrale Beschaffung unvertretbar hohe Belastungen infolge besonders hoher Aufwände für die Ersatzteilhaltung, den Wartungs- oder Schulungsaufwand erfordern würde.

All dies sieht die Vergabekammer im vorliegenden Fall aber für nicht gegeben. Die darlegungsbelastete Vergabestelle habe keine nachvollziehbaren objektiven und auftragsbezogenen Gründe angegeben, welche die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen für die Rechtfertigung einer Herstellervorgabe erfüllen. Insbesondere seien die Ausführungen der Vergabestelle im Vergabevermerk zur Rechtfertigung der Produktvergabe unzureichend und zum Teil auch objektiv falsch. Damit habe die Vergabestelle gegen ihre Pflicht verstoßen, die aus dem Auftragsgegenstand abgeleiteten Sachgründe für eine konkrete Produktvorgabe und ihren Willensbildungsprozess in der nach § 8 Abs. 1 VgV zu führenden Vergabeakte nachvollziehbar zu dokumentieren. Aus einer solchen Dokumentation müssen sich nach Auffassung der Vergabekammer das Vorhandensein sachlicher Gründe und die daran anknüpfende Entscheidung des Auftraggebers für einen unbefangenen Dritten nachvollziehbar erschließen. Fehlt es daran, verstößt die Produktvergabe bereits wegen der mangelhaften Dokumentation gegen § 7 EU Abs. 1 VOB/A.

Praxishinweis

Der Streit um produktbezogene Vorgaben bei Bauvergaben ist und bleibt ein Dauerbrenner. Diese sind nur zulässig, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist (vgl. § 7 EU Abs. 2 Satz 1 VOB/A). Die VK Sachsen stellt in ihrer Entscheidung zum wiederholten Male klar, dass hieran hohe Anforderungen zu stellen sind. Dabei müssen die vom Auftraggeber genannten Gründe nicht nur objektiv vorhanden und von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sein. Sie müssen darüber hinaus im Vergabevermerk nachvollziehbar hinterlegt sein, wobei sich aus der Akte auch der Willensbildungsprozess des Auftraggebers ergeben muss. Fehlt es hieran, dann führt bereits dieser Formverstoß zu einer unzulässigen Produktvorgabe. Vergabestellen ist zu raten, die Gründe für die Vorgabe bestimmter Produkte nicht nur hinreichend zu dokumentieren, sondern diese auch in Vorbemerkungen zu den jeweiligen Abschnitten des Leistungsverzeichnisses deutlich zu machen, um möglichen Nachprüfungsverfahren vorzubeugen. Bietern ist zu raten, spezifische Produktvorgaben kritisch zu hinterfragen, ob die genannten (oder mutmaßlichen) Gründe wirklich nachvollziehbar und berechtigt sind und ob der Wettbewerb dadurch nicht in unzumutbarer Art und Weise eingeschränkt wird. Da es sich jeweils um Einzelfallbetrachtungen handelt, wird der Beschluss der VK Sachsen dies nicht die letzte Entscheidung zu dieser Problematik gewesen sein.

Dr. Ulrich Dieckert
Rechtsanwalt