Die Bestimmung einer angemessenen Bindefrist liegt im Ermessen der Vergabestelle

Sie ist jedoch so kurz wie möglich zu bemessen und darf nicht länger sein, als für eine zügige Prüfung und Wertung der Angebote durch den Auftraggeber benötigt wird. Bindefristen, welche die Regelfrist von 60 Kalendertagen gemäß § 10a EU Absatz Abs. 8 Satz 3 VOB/A übersteigen, sind nur ausnahmsweise zulässig.

(VK Südbayern (Beschluss vom 05.08.2022, 3194.Z3-3_01-22-29)

05.08.2022 — Eine Stadt hatte bei der europaweiten Ausschreibung von Holzbauarbeiten eine Bindefrist von 138 Kalendertagen festgelegt. Die Stadt begründete dies gegenüber den Bietern, dass der interne Beschlussturnus der Kommune eine schnellere Vergabeentscheidung nicht zulasse. Auf die daraufhin eingereichte Rüge eines Bieters ergänzte die Stadt, wegen des Volumens von mehr als einer Million Euro müsse nach den städtischen Hochbaurichtlinien noch eine gesonderte Überprüfung stattfinden. Sodann würden für die Erstellung der Beschlussvorlage wenigstens zehn Wochen benötigt, dann kämen noch einmal drei Wochen für die Stadtratsbefassung hinzu.

Entscheidung der Vergabekammer

Die vom Bieter daraufhin angerufene Vergabekammer gab dem Nachprüfungsantrag statt. Die Begründung der Stadt für die Überschreitung der Regelfrist von 60 Tagen gemäß § 10a Abs. 8 VOB/A sei nicht überzeugend. Denn offensichtlich läge hier keine einmalige Ausnahme vor, sondern die verlängerten Entscheidungsvorgänge in der Kommune seien offensichtlich die Regel. Das kollidiert mit dem vergaberechtlichen Gebot, dass die Vergabestellen den Interessen der Bieter an einer möglichst kurzen Beschränkung ihrer Dispositionsfreiheit Rechnung zu tragen haben. Wenn eine Überschreitung von mehr als dem doppelten der Regelfrist den üblichen Entscheidungsvorgängen der Vergabestelle entspräche, dann müssten diese Entscheidungsvorgänge gestrafft werden. Denn es sei den Bietern nicht zuzumuten, sich bei Vergaben der Stadt regelmäßig über die Gebühr (und über die vergaberechtliche Regelfrist) hinaus an ihre Angebote zu binden.

Hinweis für die Praxis

Nach richtiger Auffassung der Vergabekammer ist nicht hinzunehmen, dass eine Vergabestelle die Bindefristen an ihren internen – langwierigen – Verwaltungsvorgängen ausrichtet, und nicht an der bundesrechtlich vorgegebenen Bindefrist aus § 10a EU Abs. 8 VOB/A. Das Vergaberecht hat in diesen Fällen den Vorrang und ist von den Vergabestellen einzuhalten, wenn nicht ganz besondere Gründe vorliegen, die eine Abweichung rechtfertigen (z. B. Unterbesetzung der Entscheidungsgremien wegen unvorhersehbarer Ereignisse). Hinzu kommt, dass in den jetzigen Zeiten, die von erheblichen Preissteigerungen geprägt sind, Vergabeverfahren nicht über die Gebühr verlängert werden sollten. In jedem Fall ist es nach wie vor geboten, Bauvorhaben nur mit ausreichenden Preisgleitklauseln auszuschreiben.

Dr. Ulrich Dieckert
Rechtsanwalt