Zugang von Willenserklärungen, die per E-Mail verschickt werden

Wir hatten im letzten Newsletter über die Wirksamkeit von Willenserklärungen, die per E-Mail verschickt werden, den gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung dargelegt. Nun hat der Bundesgerichtshof mit einer Entscheidung vom 06.10.2022 ein Machtwort gesprochen. Danach gilt eine Willenserklärung im unternehmerischen Geschäftsverkehr als wirksam zugegangen, wenn sie per E-Mail innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich (vergleiche BGH, Urteil vom 06.10.2022, VII ZR 895/21).

In dem vom BGH zu entscheidenden Fall hatte ein Rechtsanwalt für seinen Mandanten per E-Mail ein Vergleichsangebot unterbreitet. Diese E-Mail ging um 09:19 Uhr auf dem Empfangsserver des Auftraggebers ein. Gegen 10:00 Uhr am gleichen Tag teilte der Rechtsanwalt per E-Mail mit, dass die Restforderungen seines Mandanten noch zu überprüfen seien, und insofern das Vergleichsangebot aus der vorangegangenen Mail unberücksichtigt bleiben müsse.

Der Auftraggeber überwies ein paar Tage später den sich aus der ersten E-Mail des Anwaltes ergebenden Restbetrag. Die klageweise geltend gemachten Mehrforderungen des Auftragnehmers wies der Bundesgerichtshof in letzter Instanz ab. Der Auftraggeber habe das Vergleichsangebot aus der ersten E-Mail innerhalb angemessener Zeit durch Zahlung des vorgeschlagenen Betrages angenommen. Dieses Angebot sei auch durch die nachfolgende E-Mail nicht wirksam widerrufen worden. Denn ein Widerruf sei nur möglich, wenn dieser vor der ersten Willenserklärung oder zumindest zeitgleich beim Empfänger eintreffe. Bei einer E-Mail sei dies nicht möglich, und zwar unabhängig davon, wann diese zur Kenntnis genommen werde. Denn der Zugang der per Mail übermittelten Willenserklärung gelte dann als bewirkt, wenn die E-Mail innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird.

Mit dieser Entscheidung hat der BGH gleich zwei wichtige Klarstellungen getroffen. Zum einen, dass Willenserklärungen im kaufmännischen Geschäftsverkehr durchaus wirksam per E-Mail zugestellt werden können. Zum anderen, dass sie ihre Wirkung unmittelbar dann entfalten, wenn sie beim Empfänger angekommen sind. Ein Widerruf ist dann nicht mehr möglich. Insofern ist beim Versand wichtiger Willenserklärungen per E-Mail Vorsicht geboten. Man sollte sich seiner Sache schon sicher sein, wenn man derart erhebliche Erklärungen per E-Mail abgibt.

Dr. Ulrich Dieckert
Rechtsanwalt