Ausschluss vom Vergabeverfahren wegen angeblicher Schlechtleistung bei einem vorangegangenen Auftrag: in dubio pro reo!

1. Im Streitfall über die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB muss die Vergabestelle den Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrundes führen, nämlich dass eine erhebliche oder fortdauernde Schlechtleistung zur Kündigung oder einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Es genügt nicht, dass der Auftraggeber gekündigt hat, es muss vielmehr mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass dies auch zu Recht erfolgt ist.

2. Im Nachprüfungsverfahren gilt der insbesondere in § 167 GWB verankerte Beschleunigungsgrundsatz. Die Vergabekammer bzw. der -senat ist daher nicht gehalten, die Rechtmäßigkeit der streitigen Kündigung selbst im Wege einer vollumfänglichen Inzidentprüfung mit unter Umständen langwieriger Beweisaufnahme wie in einem Bauprozess zu klären. Vielmehr hat die Vergabekammer anhand des Vorbringens der Beteiligten und der eingereichten Unterlagen zu prüfen, ob der öffentliche Auftraggeber den Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrunds auch mit hinreichender Sicherheit führen kann.

3. Einem Unternehmen kann sein Verhalten bei Erfüllung eines öffentlichen Auftrages als Mitglied einer Bietergemeinschaft, an die ein Auftrag vergeben wurde, im Rahmen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zugerechnet werden, wenn ihm ein individueller Beitrag zu den während der Vertragsausführung auftretenden Mengen zugerechnet werden kann und dieses individuelle Verhalten fehlerhaft oder fahrlässig war.

4. Hat ein Auftragnehmer mit rechtlichen Schritten gedroht oder solche unternommen, die er zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer noch ungeklärten Rechtslage für zulässig halten konnte, so ist bei der Prognoseentscheidung im Rahmen einer Ausschlussentscheidung vom öffentlichen Auftraggeber zugunsten des Auftragnehmers zu prüfen und zu berücksichtigen, ob dieser einer vertretbaren Rechtsauffassung folgte.

(VK Südbayern, Beschluss vom 04.04.2024 – Az. 3194.Z3-3_01-23-68)

Ein öffentlicher Auftraggeber schreibt Restarbeiten (einen Tunnel) eines zuvor gekündigten Auftrages in einem nicht offenen Verfahren mit Teilnahmewettbewerb aus. An diesem Teilnahmewettbewerb beteiligt sich eine Bietergemeinschaft. Mitglied dieser Bietergemeinschaft ist ein Unternehmen, welches an einer Arbeitsgemeinschaft beteiligt war, welche sich in dem vorangegangenen Auftrag mit dem Auftraggeber gestritten hatte und daraufhin gekündigt wurde. Es ging um Nachtragsforderungen, welche vom Auftraggeber zurückgewiesen wurden, woraufhin die Arbeitsgemeinschaft die Arbeiten auf der Baustelle einstellte. Es folgten wechselseitige Kündigungen des Vertrages sowie streitige Auseinandersetzungen vor Gericht. Aus diesem Grunde mussten die Restarbeiten für den Tunnel neu ausgeschrieben werden.

Die Bietergemeinschaft, die sich für die Restarbeiten bewirbt, wird vom Auftraggeber mit der Begründung ausgeschlossen, ihr vertretungsberechtigtes Mitglied, welches zuvor der gekündigten ARGE angehört hat, sei unzuverlässig. Die Bietergemeinschaft stellt daraufhin Nachprüfungsantrag vor der VK Südbayern, nachdem ihrer Rüge gegen den Ausschluss nicht abgeholten wurde.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Vergabekammer Südbayern gibt dem Nachprüfungsantrag statt, da der Ausschluss des Teilnahmeantrages der Bietergemeinschaft rechtswidrig war. Denn der Auftraggeber habe nicht mit der erforderlichen, jedenfalls überwiegenden Wahrscheinlichkeit darlegen können, dass die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB hinsichtlich der vorangegangenen Kündigung der Arbeitsgemeinschaft vorliegen. Auch habe der Auftraggeber bei seiner im Vergabevermerk dokumentierten Ermessensausübung wesentliche Aspekte nicht berücksichtigt. Aus diesem Grunde müsse der Teilnahmeantrag wieder in die Wertung genommen werden.

Die Vergabekammer stellt in ihrer Entscheidung fest, dass die Vergabestelle im Streitfall den Nachweis der Tatbestandvoraussetzung des Ausschlussgrundes führen muss, nämlich dass eine erhebliche oder fortdauernder Schlechtleistung zur Kündigung oder einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Es genügt nicht, dass der Auftraggeber gekündigt hat, es muss vielmehr feststehen, dass dies auch zu Recht erfolgt ist. Nach Auffassung der Vergabekammer konnte die Vergabestelle vorliegend nicht mit der erforderlichen, jedenfalls überwiegenden Wahrscheinlichkeit darlegen und beweisen, dass die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB hinsichtlich seiner Kündigung wegen der Einstellung der Arbeiten vorliegen. Denn es lägen keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass die ARGE gemäß § 16 Abs. 5 Nr. 4 VOB/B mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht berechtigt gewesen wäre, die Arbeiten wegen Zahlungsverzug einzustellen. Für einen Ausschluss des Teilnahmeantrages aufgrund der Arbeitseinstellung fehlt es damit an der Nachweislichkeit der Schlechtleistung, da im Falle der berechtigten Ausübung von Leistungsverweigerungsrechten keine Schlechtleistung vorliegen würde. Die fehlende überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Arbeitseinstellung durch die ARGE nicht gerechtfertigt war, geht zulasten des öffentlichen Auftraggebers.

Gerade wenn es um die Frage geht, ob die für § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB erforderliche qualifizierte Rechtsfolge – hier die Kündigung des Auftrags durch den Auftraggeber – zu Recht erfolgt ist, kann dies nicht zur Folge haben, dass nun die Vergabekammer auf eine rechtskräftige Entscheidung der Zivilgerichte warten bzw. die Rechtmäßigkeit der streitigen Kündigung selbst im Wege einer vollumfänglichen Inzidentprüfung mit unter Umständen langwieriger Beweisaufnahme wie in einem Bauprozess klären muss. Dem Beschleunigungsgrundsatz würde es eklatant zuwiderlaufen, einen monate- oder gar jahrelangen Bauprozess abzuwarten bzw. ihn selbst inzident durchzuführen. Im Vergabenachprüfungsverfahren kann daher regelmäßig nur darüber entschieden werden, ob der öffentliche Auftraggeber die Anforderungen an den im Streitfall zu erbringendem Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrundes, hier also der zu Unrecht erfolgten Arbeitseinstellung als Kündigungsgrund, führen kann oder nicht.

Auch wenn es im vorliegenden Verfahren nicht mehr darauf ankommt, weist die Vergabekammer darauf hin, dass der Auffassung des Antragsgegners, die Antragstellerin als Bewerbergemeinschaft müsse eine etwaige Schlechtleistung des ehemaligen Mitglieds der ARGE hinsichtlich des Vorauftrages gegen sich gelten lassen, keine vergaberechtlichen Bedenken begegnen. Dieses Unternehmen müsste für ihr eigenes Verhalten als Mitglied der ehemaligen ARGE einstehen sowie sich dieses Verhalten auch in einer neuen Bewerber- oder Bietergemeinschaft mit anderen Unternehmen entgegenhalten lassen.

Die Vergabekammer weist abschließend der Vollständigkeit halber darauf hin, dass die dokumentierte Ermessensausübung des Antragsgegners (Vergabestelle) ermessensfehlerhaft ist, da sie sich bereits auf eine unzureichende Tatsachenermittlung stützt und bei ihrer Prognoseentscheidung außer Acht lässt, dass zum Zeitpunkt der Leistungseinstellung und der ausgesprochenen Kündigung die Rechtsauffassung der gekündigten ARGE mangels entgegenstehender Rechtsprechung vertretbar war. Bei der Prognoseentscheidung hätte sich der Antragsgegner zumindest mit der zum Zeitpunkt der Prognoseentscheidung noch unklaren Rechtslage befassen müssen und in seiner Abwägung zugunsten der Antragstellerin einfließen lassen müssen, dass diese einer zum Zeitpunkt der Arbeitseinstellung und Kündigung durchaus vertretbaren Rechtsauffassung folgte.

Hinweis für die Praxis

Die VK Südbayern hat hier in erfreulicher Klarheit festgestellt, dass die bloße Tatsache der Kündigung eines vorangegangenen Auftrages nicht ausreicht, einen Ausschluss wegen angeblicher Schlechtleistung/Unzuverlässigkeit zu rechtfertigen. Vielmehr muss der AG zur Überzeugung der Nachprüfungsinstanz vortragen und beweisen, dass die von ihm ausgesprochene Kündigung auch berechtigt war und dass er bei der Ausübung seines Ermessens auch Aspekte hat einfließen lassen, die für den Bieter sprechen. Gibt es hieran Zweifel, dann ist es nicht Sache der Nachprüfungsinstanz, eine eigene profunde Rechtsprüfung anzustellen. Vielmehr gilt in diesem Fall der alte Rechtsgrundsatz: „in dubio pro reo“, und zwar zugunsten des Bieters!

Dr. Ulrich Dieckert
Rechtsanwalt