Streitige VOB-Nachträge im Eilrechtsschutz nach Schlussrechnung durchsetzen

Unter Verweis auf zwei beachtenswerte Urteile des Kammergerichts (KG Urt. v. 02.03.2021 – 21 U 1098/20 und KG Urt. v. 02.11.2021 – 27 U 120/21) besteht zu Gunsten von Auftragnehmern nunmehr die Möglichkeit, streitige Abschlagsforderungen für Nachtragsleistungen im Wege des Eilrechtsschutzes nach § 650d BGB geltend zu machen. Dies gilt auch bei Schlussrechnungsreife und selbst dann, wenn die Schlussrechnung bereits gelegt wurde.

Dieses im Zusammenhang mit dem Bauvertragsrecht 2018 in das BGB eingeführte Verfahren bietet für den AN nicht zuletzt eine interessante Möglichkeit, den AG wieder an Tisch zu bekommen und so die Chance auf einen zeitnahen Vergleich zu eröffnen, ohne eine langwierige Werklohnklage erheben zu müssen. Selbst wenn es nicht zu einem Vergleich kommt, kann sich der AN in einem solchen Eilverfahren zumindest einen Liquiditätszufluss erstreiten, der ihm bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens verbleibt. Dies ist jedenfalls dann von Vorteil, wenn der AN Nachträge ausführen muss, die für ihn zu Beginn der Bauausführung nicht erkennbar waren, und er dabei in die Vorleistung geht. Hier hat der AN ein erhebliches Interesse daran, seine Liquidität aufrecht zu erhalten.

Die Entscheidung des Gerichts

Im ersten Verfahren (KG Urt. v. 02.03.2021 – 21 U 1098/20) ging es um die Durchsetzung von Nachtragsansprüchen des AN aus einem VOB-Werkvertrag. Nachdem der AN Bedenken hinsichtlich des vorgeschriebenen Grundanstrichs angemeldet hatte, ordnete der AG die Aufbringung eines zusätzlichen tragfähigen Haftgrundes an. In der Folge wurde diese Leistung durch den AN auch ausgeführt. Wegen dieser und anderer Nachträge machte der AN sodann in einer Abschlagsrechnung 80 % der hierfür errechneten Mehrvergütung geltend. Alle anderen Arbeiten wurden ausgeführt, abgenommen und schlussabgerechnet. Weil der AG die Nachträge nicht bezahlen wollte, beschritt der AN den Weg des Eilrechtsschutzes nach § 650d BGB, um seine Forderungen durchsetzen. Teilweise mit Erfolg!

Das KG stellt zunächst klar, dass die Regelungen zum Anordnungsrecht des AG und der einstweiligen Verfügung in den §§ 650b bis 650d BGB als Gesetzesrecht auch für VOB-Bauverträge gelten.

Die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Dringlichkeit umfasst nach Ansicht des KG auch einstweilige Zahlungen an ein Bauunternehmen, wobei die Dringlichkeit auch dann bestehe, wenn der AN seine Leistungen bereits abgeschlossen hat und die Schlussrechnung gelegt wurde. Dies ist auch folgerichtig, weil der AN auch zu diesem Zeitpunkt noch mit dem Vorleistungsrisiko belastet ist und ein Bedürfnis auf zumindest vorübergehende Liquidität hat.

Zur Berechnung der Vergütung für den Nachtrag kann der AN gemäß § 650c Abs. 2 BGB auf die Ansätze in einer vereinbarungsgemäß hinterlegten Urkalkulation zurückgreifen. Hierzu macht das KG jedoch eine wichtige Einschränkung: Zugunsten des Unternehmens wird lediglich vermutet, dass die in einer Urkalkulation enthaltenen Rechnungsansätze auch den tatsächlich erforderlichen Kosten entsprechen. Demgegenüber gilt die Richtigkeitsvermutung nicht für den Rechenweg der Mehrvergütung als solchen, also dem, was der AN letztlich als Endergebnis der Preisfortschreibung unter Verwendung der Urkalkulation ermittelt hat.

Für den Fall, dass sich die Parteien nicht über die Höhe einigen, kann der AN nach § 650c Abs. 3 BGB bei der Berechnung von Abschlagszahlungen 80 % der in seinem Angebot genannten Mehrvergütung ansetzen. Wichtig ist, dass diese Regelung keine gesetzliche Vermutung aufstellt, dass 80 % der vom AN wegen einer Leistungsänderung beanspruchten Mehrvergütung in einem gerichtlichen Verfahren als zutreffend ermittelt gilt. Denn genau dies wird in einem gerichtlichen Verfahren erst geprüft, da die Höhe der Vergütung des AN nicht per se ohne Berücksichtigung der Interessen des AG festgesetzt werden kann. Vielmehr bildet die 80 %-Regelung nur ein vorläufiges einseitiges Preisbestimmungsrecht für den AN im Falle geänderter Leistungen.

Trotz der zuvor benannten gesetzlichen Erleichterungen durch die Vermutungswirkungen bleibt es dabei, dass der AN immer Umfang und Mangelfreiheit der Leistung nachweisen muss.

Im zweiten Verfahren (KG Urt. v. 02.11.2021 – 27 U 120/21) hatte ein AN Abbrucharbeiten übernommen, bei denen es zu Zusatzleistungen kam. Nachdem der AG zwei streitige Nachträge nicht zahlte, begehrte der AN die Auszahlung im Wege des Eilrechtsschutzes. Auch hier obsiegt der AN teilweise. Das KG bestätigt hierbei insbesondere, dass der AN grundsätzlich berechtigt ist, 80% der angebotenen Nachtragsvergütung über § 650c Abs. 3 BGB im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens geltend zu machen.

Praxishinweis

Gerichtliche Baurechtsstreitigkeiten sind mitunter enorm zeitaufwändig und damit auch kostenintensiv für alle Beteiligten. Besonders betroffen ist aber oftmals der AN, der für seine Arbeiten in Vorleistung gegangen ist und seinem Werklohn seitdem hinterherläuft. Dies hat Gesetzgeber bei der Novelle des Bauvertragsrechts 2018 u. a. dazu bewogen, ein beschleunigtes Verfahren nach § 650d BGB einzuführen.

Dieses einstweilige Verfügungsverfahren bietet neben den bereits genannten Erleichterungen auch den Vorteil, dass keine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich ist, sondern die Entscheidung auf Grundlage von Glaubhaftmachungen erfolgt. Kehrseite des Eilrechtsschutzes ist es aber, dass ein so erstrittener Vergütungsanspruch im später stattfindenden Hauptsacheverfahren gekippt werden kann, da hier u.a. ein strengeres Beweismaß gilt.

Die Besonderheit dieses Eilrechtsschutzes wirkt sich sowohl für den AG als auch für den AN aus. Der AN muss seinen Werklohnanspruch glaubhaft machen, der AG seinerseits das Vorliegen von Mängeln. Eine Beweisaufnahme mit Sachverständigen, geladenen Zeugen usw. findet in diesen einstweiligen Verfügungsverfahren dabei in Bezug auf den Vortrag beider Seiten nicht statt. Mittel der Glaubhaftmachung sind vor allem eidesstattliche Erklärungen und mitgebrachte Zeugen. Insofern gehen diese Verfahren natürlich deutlich schneller.

Die angesprochene gesetzliche Regelung des § 650d BGB schien lange Zeit weitgehend wirkungslos. Dies änderte sich durch die Entscheidungen des Kammergerichts schlagartig. Sie decken eine große Bandbreite von Gestaltungen ab. Bei den Mandanten unserer Sozietät gibt es seither zunehmend Beratungsbedarf, wie man mit diesem Mittel bei der Durchsetzung (bzw. Abwehr) von Nachtragsforderungen umgehen kann.

Philipp Dehn
Rechtsanwalt