Angeordneter Leistungsentfall ist keine Mengenminderung!

Ordnet der Auftraggeber nachträglich den Wegfall einzelner Leistungen eines Einheitspreisvertrags an und kommen diese dann letztlich einvernehmlich nicht zur Ausführung, liegt keine Mindermenge gem. § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B vor. Für die Abrechnung der hierdurch entfallenen Leistungen kommt nur eine Abrechnung nach § 8 VOB/B bzw. § 648 BGB (analog) in Betracht.

(OLG Hamm, Urteil vom 05.07.2024 – 12 U 95/22)

Der AG beauftragt den AN unter Geltung der VOB/B mit dem Einbau von Fenstern. Die Abrechnung soll nach vereinbarten Einheitspreisen erfolgen. Der AG nimmt später von der Ausführung zweier EP-Positionen Abstand, weil anstelle der ursprünglich geplanten Fenster nun Lüftungsgitter montiert werden sollen.

Der AN hatte das Material bereits gekauft und macht die hierfür angefallenen Kosten klageweise geltend. Das Landgericht weist die Klage des AN mit der Begründung ab, der AN habe die Voraussetzungen einer Preisanpassung gem. § 2 Abs. 3 VOB/B nicht hinreichend dargelegt.

Entscheidung des Gerichts

Die hiergegen gerichtete Berufung hat Erfolg. Nach Auffassung des OLG Hamm kommt es auf § 2 Abs. 3 VOB/B bei der Abrechnung gar nicht an, sondern auf § 8 Abs. 1 VOB/B bzw. § 648 BGB.

Es kann bei nachträglich entfallenen Leistungen – selbst bei „Nullpositionen“ – zwar ein Anspruch nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B bestehen. Das gilt jedoch nicht, wenn der AG auf die Ausführung einer bestimmten Position verzichtet. § 2 Abs. 3 VOB/B ist anwendbar, wenn das vertragliche Äquivalenzverhältnis gestört ist, wie es bei einer (unwillkürliche) Mengenminderung der Fall ist. Bei einer willkürlichen Mengenminderung, die auf der einseitigen Anordnung des AG basiert, liege jedoch gerade keine solche Äquivalenzstörung vor. Denn die betreffenden LV-Positionen sind nicht aufgrund einer Fehleinschätzung der vertraglichen Mengenvordersätze entfallen, sondern auf einseitige Veranlassung des AG, der von den Leistungen Abstand nahm und sich – hier zugunsten anderer Leistungen in Form von Lüftungsgittern – später umentschieden hat.

Wenn aber die vertraglich vorgesehenen Mengen nicht aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten entfallen, sondern allein auf Veranlassung des AG, sei dies mit der Sachlage bei einer „freien“ Kündigung des Auftraggebers vergleichbar. Dies führe – zumindest in analoger Anwendung – zu einer Abrechnung nach § 8 VOB/B bzw. § 648 BGB, wonach der AN Anspruch auf die vereinbarte Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen hat. Da die Materialkosten hier nicht erspart wurden, konnte der AN (auch) diese vom AG erstattet verlangen.

Praxishinweis

Die Entscheidung enthält eine begrüßenswerte Klarstellung zum Anwendungsbereich von § 2 Abs. 3 VOB/B, nämlich, dass die Regelung eben nur bei „zufälligen“ Mengenabweichungen anwendbar ist. Die erwähnte „Äquivalenzstörung“ bezieht sich auf das (ursprüngliche) Verhältnis von vereinbartem Baupreis und der dafür vorgesehenen Leistung. Dies muss bei § 2 Abs. 3 VOB/B infolge einer vorherigen Fehleinschätzung der für die Ausführung als erforderlich betrachteten Mengen („Mengenvordersatz“) gestört sein. Hieran fehlt es aber, wenn sich die Mengen einer bestimmter LV-Position aus Umständen ändern, die der AG selbst veranlasst hat, indem er ihm einseitig bauvertraglich eingeräumten Befugnisse ausübt und in den Leistungsinhalt eingreift.

Solche einseitigen „Eingriffe“ des AG sind nicht nur – wie hier – durch ganzen oder teilweisen Leistungsentzug denkbar, sondern gleichermaßen auch durch die Anordnung von Nachtragsleistungen, mit denen der bisherige Bauentwurf inhaltlich geändert und/oder durch zusätzliche Leistungen erweitert wird. Auch wenn dann oberflächlich betrachtet „mehr“ von der in einer LV-Position beschriebenen Leistung erbracht werden soll, liegt dennoch keine Mengenabweichung nach § 2 Abs. 3 VOB/B vor, sondern eine Nachtragsleistung, die nach § 2 Abs. 5/6 VOB/B abzurechnen ist, und zwar übrigens nicht erst ab einer Mengenabweichung von mehr als 10 % des Vordersatzes, sondern hinsichtlich der vollen Menge der Nachtragsleistung.

Insofern müssen die Bauvertragsparteien die in der Praxis häufig zu beobachtende Behandlung solcher Sachverhalte nach § 2 Abs. 3 VOB/B ebenso wenig akzeptieren wie eine veränderte Mengenzuordnung unter eine vertragliche LV-Position („Leistungsverschiebung“) mit dem dort vereinbarten Einheitspreis. Stattdessen ist die Nachtragsleistung (nach ganz überwiegender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung) nach § 650c Abs. 1 BGB anhand der „tatsächlich erforderlichen Mehr- oder Minderkosten“ mit angemessenen Zuschlägen für AGK, Wagnis und Gewinn zu berechnen, sofern die Parteien keine andere Berechnungsmethode vereinbart haben.

Christian Zeiske
Rechtsanwalt