Zur Begründung führt der VGH aus, dass die Baubehörde nicht bei jeder ihr bekannten Verletzung baurechtlicher Vorschriften einschreiten muss. Das gilt auch für sogenannte „nachbarschützende Vorschriften“. Die Beeinträchtigung des Nachbarn 1 durch die Rechtsverletzung müsse einen erheblichen Grad erreichen. Eine solche konkrete und erhebliche Beeinträchtigung bei Nachbar 1 erkennt der VGH nicht. Die Grenzbebauung betreffe einen Bereich des Gartens, der weniger zur Aufenthalts- oder sonstigen Nutzung geeignet ist. Die Schutzzwecke des Abstandsflächenrechts sei kaum betroffen.
Es ist bekannt, dass die Baubehörden im Genehmigungsverfahren stark auf die Einhaltung der Abstandsflächen achten. Das ist auch richtig, denn bei einer Verletzung von Abstandsflächenvorschriften, etwa einer unberechtigt erteilten Abweichung, kann der Nachbar gegen die Baugenehmigung klagen. Die Situation im Baugenehmigungsverfahren ist aber eine völlig andere als später, wenn die Baubehörde im Nachhinein von einem Verstoß erfährt (sei es bei einer Abweichung von den genehmigten Bauvorlagen oder Verstößen bei einem genehmigungsfreien Vorhaben).
Die Behörde darf zwar keine rechtswidrigen Genehmigungen erteilen, sie muss nicht aktiv jegliche Verstöße verfolgen.
Der betroffene Nachbar kann jedoch zivilrechtlich gegen rechtswidrige Vorhaben auf dem Nachbargrundstück vorgehen. Zu den Schutzgesetzen i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB, deren Verletzung ein Grundstückseigentümer gemäß § 1004 Abs. 1 BGB abwehren kann, gehören auch die Vorschriften des Bauordnungsrechts über den Grenzabstand, weil sie auch dem Interesse des Nachbarn an ausreichender Belichtung und Belüftung seines Grundstücks, an einem freien Ausblick und an der Vermeidung von Lärmimmissionen dienen (etwa AG Brandenburg, Urteil vom 17.12.2021 – 31 C 220/21 wegen einer Garage an der Grenze). Gegen ein erst beabsichtigtes baurechtswidriges Vorhaben kann auch eine einstweilige Verfügung beantragt werden.
Hendrik Bach
Rechtsanwalt